Archiv des Autors: Sabine Wolf

Reisen mit meiner Tochter

Ein Bericht von Katrin Wölger

Ich hatte mir schon lange gewünscht mit Felicitas in ein Land zu reisen, in dem ich genauso wenig die Zeitung lesen kann wie sie, in dem ich nicht dreißig Jahre Vorsprung betreffend der kulturellen Gepflogenheiten habe.

Aufgrund einer Einladung zu Kunstfestivals in Indien und Sri Lanka wurde dies möglich[1]. Die Kuratorin der Galerie in New Delhi wollte unsere gemeinsame Arbeit kennen lernen. Ich hatte geplant, dass ich dann von New Delhi gleich weiter nach Colombo zu einer anderen Veranstaltung fliegen würde. Da ich dort jedoch eine ganze Woche alleine zu arbeiten hatte, entschieden wir, dass Felicitas‘ Vater und Bruder dorthin nachkommen und wir dann noch etwas länger bleiben würden.

Die Reisevorbereitungen waren umfangreich, aber nicht alles wurde durchgeplant. Wir waren zwar schon innerhalb Europas gereist, aber nie für solange Zeit und noch nie an einen Ort, den wir Eltern selber noch nicht kannten. Am wichtigsten waren die Flüge und das Anfangsquartier. Ich habe mir – mit dem Einverständnis meiner Tochter- einen „Tracker“ besorgt. Ein kleines Teil, dass man auflädt und das über GPS seine Position an mein Handy oder Tablet sendet. (Die genauesten gibt es für Haustiere! Sie funktionieren überall, wo es Internet gibt). Denn wenn wir uns in New Delhi verloren hätten, wäre es sehr schwierig gewesen, uns wieder zu finden. Glücklicherweise ist das nie passiert, aber es war beruhigend, den Tracker dabei zu haben.

Wir haben uns vorab am Computer Fotos und kurze Videos von den Orten, die wir bereisen wollten, angesehen. Da Felicitas Epileptikerin ist, ist es sehr wichtig, dass sie genug Schlaf hat, die Flüge mussten deshalb durchgehend und zu relativ „normalen“ Zeiten stattfinden, also keine Umstiege um drei Uhr nachts. Mit Air India flogen wir bequem über Nacht, auf der Rückseite der Boardingpässe stand „Creating a barrier-free environment to ensure equal opportunities for Persons with Disabilities. Disability is with the barriers in the society.“ Das „Department of Empowerment of Persons with Disabilities“ der indischen Regierung ist sehr aktiv und hat eine große Aufklärungskampagne gestartet.

In New Delhi waren wir eine Woche, wir haben etwas außerhalb vom Zentrum, gleich bei einer U-Bahn, in einem ruhigen Viertel gewohnt, in einer Wohnung, die ich im Internet gefunden hatte. Sie war ideal, da in dem Haus eine Familie wohnte und wir somit zwar für uns waren, aber auch etwas Anschluss hatten. In der Familie unseres Vermieters gab es auch eine Person mit Beeinträchtigung. Es ist für die Familien in Indien schwierig, weil sie oft nicht versichert sind, und Therapien bzw. Behelfe sehr teuer. Felicitas hat sich sofort ganz natürlich eingelebt. Während wir manchmal unsicher sind bzw. alles, was wir gehört oder gelesen haben in unserem Kopf herum schwirrt, ging sie unvoreingenommen auf alles zu, und hat mir die Augen für manches geöffnet. Sie war begeistert von den bunt gekleideten Leuten und der neuen U-Bahn. Etwas schwierig war es in der Innenstadt, wo es viele Touristen gibt und man viel angesprochen wurde. Ein Mann hat uns angesprochen und wollte unbedingt, dass wir mit ihm kommen und bei ihm Geld wechseln oder etwas kaufen oder ähnliches. Da er freundlich war, war es schwierig, Felicitas zu erklären, dass wir nicht mit gehen sollen, weil davor gewarnt wird. Nachdem ich abgelehnt hatte, hat er uns dann noch erst freundlich und dann unfreundlich verfolgt, bis ich unfreundlich werden musste. Das war für Felicitas nicht so leicht, mich so fast streiten zu sehen ohne ersichtlichen Grund. Am Markt haben wir schnell unsere Gage ausgegeben gehabt, die Händler können schon fordernd sein, und über das Handeln hätten wir vielleicht vorher sprechen sollen…aber so haben alle unsere Freunde Mitbringsel bekommen… 🙂

Die Wohnung war der ideale Rückzugsort, schon der Weg mit der schönen U-Bahn beruhigend. Sie war groß genug, dass man auch lesen oder malen konnte. Felicitas hat täglich 12 Stunden geschlafen. Ich denke, das war wichtig, um die Eindrücke zu verarbeiten. Wir waren auch dreimal in der Galerie, um zu arbeiten (ein Treffen mit allen Teilnehmenden, eine Probe und eine öffentliche Performance).

Die einzige von meinen geplanten Sehenswürdigkeiten, die wir geschafft haben, war das Rote Fort. Felicitas wünschte sich den Zoo. So haben wir – touristisch – wenig gesehen, aber – für uns – viel erlebt. Wichtig war ein ruhiger Tagesablauf, alles auf uns zukommen zu lassen und nicht zu hetzen. Da kam uns der indische Umgang mit der Zeit entgegen. Das Schöne war auch, dass sich die Hierarchie wirklich verschoben hat, wir waren viel „gleicher“. Ich musste mich genauso zurechtfinden, wie meine Tochter, ich wurde manchmal genauso angestarrt, wie es Felicitas passiert. Dadurch, dass wir beide anders waren, wurden wir mehr zu einem egalitären Team. Nach ein paar Tagen kannte man uns schon im Viertel: als wir uns einmal in den Gassen ein wenig verirrt hatten, hat uns ein Mann vom Balkon aus zugerufen und uns den richtigen Weg „nach Hause“ gewiesen… es kann auch positiv sein, aufzufallen. 🙂

Felicitas, Katrin Wölger und Verena Glaser beim Reisevortrag am 11.09.2017

In Sri Lanka hatten wir für die ersten Tage ein Haus gemietet, wieder in einem ruhigen Viertel, außerhalb von Colombo. Zuhause in Wien hatte ich mir eine ganze Tour überlegt, Colombo, Südküsten, Ostküste, Teeplantagen, Nationalpark, was man üblicherweise in zwei bis drei  Wochen macht. Wir hatten aber nur die erste Woche, in der ich in Colombo arbeitete, fixiert, und das war gut so. Denn die Entfernungen sind zwar nicht groß, aber sich von einem zum anderen Ort zu bewegen dauert lange. Und wieder hat uns Felicitas beim Entschleunigen geholfen. Man ist da, also ist man erst mal da. Die Zeitung konnten wir alle nicht lesen, es gab sie in verschiedenen fremden Schriften, unsere Tochter war die einzige, die sich Hefte der Buchstaben gekauft hat. Es gibt dort drei verschiedene Schriften. Internet ist fast flächendeckend vorhanden, was die Organisation der Weiterreise vor Ort möglich machte. Wir haben immer im jeweiligen Quartier das nächste gesucht. An der Küste war es doch sehr heiß, wir entschieden, in das Landesinnere zu fahren,  und dann wieder zurück. Wir haben zufällig einen Elefanten entdeckt und durften sogar helfen, ihn zu waschen. Das war aber genauso schön, wie im Bus zu fahren. Nur einmal hatten wir ein Auto mit Fahrer für eine längere Fahrt, das war eher lästig, da wir als Familie schon ein eingespieltes Team waren und der Chauffeur uns mit seinen Vorschlägen eher störte. Wir haben das Land gemeinsam entdeckt und jeder hatte Kompromisse aber auch Vorschläge gemacht und die Reise bereichert.

Felicitas hat uns noch einen wunderschönen Abschied beschert, da sie sich mit einer Nachbarin über den Gartenzaun angefreundet hat, die uns dann abends besuchte und uns eine Tanzvorführung gegeben hat, wofür sich Fee mit einem Stück auf der Mundharmonika bedankte.

Felicitas beim Reisevortrag am 11.09.2017

Unsere Tochter hat uns gezeigt, dass man mit Offenheit und Liebe viele Barrieren beseitigen kann.

Menschen mit besonderen Bedürfnissen haben einfach sehr viel Erfahrung mit dem „Anders-sein“ in einer Gesellschaft, sie können diese Erfahrung nutzen und uns helfen, damit umzugehen, wenn wir uns in für uns ungewohnte Umgebungen begeben.

Alles ist möglich! –  oder zumindest mehr, als man glaubt!

Zusammenfassende Tipps:

> Tracker besorgen für Notfälle, um sich nicht zu verlieren
> Ausgeruht ankommen
> Sich gemeinsam möglichst genau ansehen, wo man hinkommt (Google streetview, z.B), es wird sowieso total anders riechen, schmecken, sich anhören..
> Sich Zeit lassen
> Kompromisse schließen

Gefahren:

> Unterschätzung der Auswirkung des Klimas, kann körperlich sehr anstrengend sein
> Barrieren wie schlechte Straßen, unwegsames Gelände, und viele andere, die man vorher vielleicht nicht kannte
> Begegnung mit Menschen betrügerischer Absicht

[1] Mein Teil der Reise wurde zusätzlich zum Beitrag der jeweiligen Festivals vom BKA Kultur und dem österreichischen Kulturinstitut in New Delhi unterstützt.

 

Im Museum der Illusionen mit Liisa

An einem sonnigen Nachmittag holte ich Liisa von zu Hause ab. Wir entschieden uns dafür, heute spontan zu sein und uns in der Stadt etwas treiben zu lassen.
Auf unserem Weg in die Stadt kamen wir am Flohmarkt bei der U4 Station Pilgramgasse vorbei, wir entschieden uns eine Runde zu drehen und bestaunten Allerlei. Als nächstes fuhren Liisa und ich zum Museumsquartier, wo wir uns mit Clara verabredet hatten auf einen kurzen Plausch.

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Nach unserem Date mit Clara schlenderten Liisa und ich am Designmarkt vor dem Museumsquartier herum und betrachteten viele schöne meist selbstgemachte Produkte. Nach einer kurzen Pause und einigen frisch gebratenen Kartoffelchips später überlegten Liisa und ich was wir noch unternehmen könnten. Ich schlug Liisa vor, in das Museum der Illusionen zu gehen. Liisa war sofort begeistert von diesem Vorschlag. Durch unseren guten Freund Dr. Google hatten wir auch schnell die Adresse herausgefunden und machten uns auf den Weg zur U-Bahnstation Herrengasse.

Wir waren schon sehr gespannt auf verschiedene Illusionen und optische Täuschungen. Wir können das Museum weiterempfehlen, für jeden, der Lust auf einen Erlebnis-Museumsbesuch hat. Unser Besuch hat uns verzaubert und zum Staunen gebracht. Hier ein paar magische Eindrücke.

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Nach diesem sehr lustigen Nachmittag machten sich Liisa und ich gut gelaunt auf den Weg nach Hause.

Sabrina, Freizeitassistentin bei integration wien

Mein Europäischer Freiwilligen-Dienst in Russland

Ich leistete meinen Freiwilligen Dienst in der Stadt Samara an der Wolga, sie liegt ca. 1000 km südöstlich von Moskau. Dort half ich einer Organisation, Десница (Desnitsa). Dort arbeiten sehr nette Leute mit Behinderung aber auch viele Leute ohne Behinderung. Uns alle eint das Ziel, eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen.

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Inklusiv bedeutet, dass kein Mensch von etwas ausgeschlossen ist. Also jeder Mensch kann Dinge eigenständig erledigen ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Das ist in der Welt in der wir leben schwierig, aber man sollte es versuchen, speziell wenn man in einem sehr wohlhabenden Land lebt. Da gibt es dann wenig Ausreden, so sehe ich das zumindest. Außerdem profitiert eine Gesellschaft davon, wenn möglichst viele Menschen aktiv und selbstbestimmt leben können. Wäre auch super für die Wirtschaft, aber dieses Fass reiß ich jetzt nicht mehr auf.

Hier, in Russland, will die Politik auch sehr viel für Menschen mit Behinderung tun. Im Alltag merkt man aber nicht unbedingt so viel davon. Leider ist auch das Wetter, also die Umwelt, etwas strenger zu den Leuten. Im Winter schmilzt der Schnee nicht nach ein paar Tagen, so wie in Wien. Oft wird der Schnee einfach immer mehr und mehr, weil es im Winter keinen einzigen Tag Plus-Grade bekommt. Dann bilden sich riesige Schnee und Eisflächen, die sogar für einen ausgewachsenen Menschen ohne Behinderung sehr schwer zu bewältigen sind. Nur in der Innenstadt leistet man sich Trupps, die Eis und Schnee wegklopfen, in den Außenbezirken dieser Stadt wartet man vergeblich.

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Der öffentliche Verkehr in Samara ist leider auch sehr exklusiv. Selbst eine Mutter oder Vater mit Kinderwagen passt nicht in einen Kleinbus, ein sogenanntes Maschutka.

Diese Kleinbusse sind neben Straßenbahnen, Busen und Trolleybussen ein sehr wichtiges Verkehrsmittel. Meine KollegInnen von Desnitsa haben deswegen einen Spezial-Bus mit Hebebühne und einen Fahrer, der sie überall abholen oder hinbringen kann. Dieser Service kostet
natürlich Geld. Wie so oft, man muss sich die Inklusion schon selbst dazukaufen.

Bei diesem Artikel habe ich versucht, barrierefreiere Sprache zu benutzen, weniger schwierige Ausdrucksweisen und falls doch, dann erklärt.

Georg List, Freizeitassistent bei integration wien

 

Dieser Bericht ist auch in unserer Vereinszeitschrift ‚iwi – integration wien informiert‘ erschienen. Hier geht’s zur aktuellen Ausgabe.