„Sie werden dich immer und überall verfolgen“, höre ich eine Stimme sagen. Ich habe keine Ahnung, wo ich hier bin und wie ich hier überhaupt hergekommen bin. Ich sehe nur eine Art Wald oder Dschungel. Doch, etwas ist anders: Dornenranken ragen aus den riesigen Erdwällen hervor, die sich vor mir befinden. Da plötzlich höre ich eine Stimme: „Ich habe ein Geschenk für diiich… hihi!“. Ich weiß, dass es Vera´ s Stimme ist, doch weiß ich nicht, was sie von mir will.
„Da nimm!“, lacht Vera, und hält mir ein Seil hin. Ich fühle, dass sich meine Umgebung verändert hat. Ich stehe auf einer Art Seil, hinter mir hängen überall Reifen und Baumstämme in der Luft. Ich greife das Seil, das mir Vera entgegen hält. Mir zittern die Knie, mir ist schwindlig, ich habe furchtbare Angst, sofort zu fallen. Unter mir, vor mir und hinter mir ein paar bekannte und auch neue Gesichter, die mich zwar anlächeln, aber die ich trotzdem nicht genau einschätzen kann. Vera, Thomas, Ralf, Doris – aus allen Seiten und Winkeln starren mich diese Gesichter an. Was sollte ich nur tun?, schießt es mir durch den Kopf, als ich diese Visagen sehe. Was wollen die nur von mir? Und vor allem, WIE ZUM TEUFEL BIN ICH HIERHER GEKOMMEN?
Nun, zumindest die letzte Frage kann ich Ihnen heute beantworten: Weil wir die geniale Idee hatten, klettern zu gehen, fuhren wir ganz einfach gemeinsam zum Milleniumstower. Und dabei würden uns auch Doris, Ralf, Thomas und Antti begleiten. Als ich schließlich Vera beim Handelskai erwarte, stehe ich mir insgesamt fast 20 Minuten lang die Beine in den Bauch. Und die Kühle dringt in meine Glieder…
NIMM DOCH, NIMM DOCH, höre ich eine Stimme. Ich fühle, dass ich erneut an dem Seil hänge. Ein Baumstamm steht rechts von mir, wie von einem geisterhaften Wind getrieben wackelt er hin und her. Ich drehe mich um, sehe das verzweifelte Gesicht von Thomas. „Nimm ihn doch!“, schreit er mich verzweifelt an. Doch ich schließe einfach nur meine Augen, will nichts mehr von der Welt wissen. Ehe ich mich versehe, ein unangenehmes, schlängelndes Gefühl auf meinem Körper. Ich reiße die Augen auf – und Blicke in die Augen mehrerer Schlangen. Verzweifelt will ich aufschreien, da höre ich eine unbekannte Stimme: „Du bist also hier!!!!“. Ich schrecke mich immens, als ich dieses unbekannte, düstere Gesicht unter mir sehe. Während die Schlangen sich um meinen Kopf legen, werde ich immer wieder gerufen: „Halloooo…. Halloooo…““
„HALLO!“. Ich schrecke hoch. Hier steht Vera endlich vor mir, lächelt mich an. Ich brauche ein bisschen, um mich zu erholen. „Bist du von Floridsdorf gekommen?“, frage ich erleichtert, als ich sie ganz fest an mich drücke. Nun können wir ganz bequem zu jenem italienischen Café gehen, in dem uns unsere Kollegen erwarten würden. „Antti kommt aber nicht!“ BUMM! Da schleicht sich wieder eine unglaubliche Kälte ein. Ich hätte ihn ja gerne gesehen! Ich blicke nochmal Richtung „Café per amico!“ PER amico? Sagt man das überhaupt so? Ich entschuldige mich bei Vera, um aufs Klo zu gehen. Mir ist irgendwie leicht schwindlig… Und überhaupt, was war das für ein Italienisch? In der Kabine frage ich eine Kollegin per Nachricht: „Kann man das denn so sagen?“. Doch irgendwie fangen die Tasten zu verschwimmen an. Mühevoll halte ich die Augen offen, sehe nach unten! Oh NEIN! Schon wieder vorbeigenässt! Da muss doch irgendwo ein – Papier sein???? Da plötzlich RIESIGE SCHLANGEN auf dem Porzellanboden, die mich gefährlich anzischen. Sofort will ich raus rennen, doch ein gigantisches Seil hält mich zurück. Ich blicke geschockt nach oben – ein Karabiner hält mich fest! Verzweifelt versuche ich, mich zu lösen. Nach wenigen Sekunden voller Angst plötzlich ein lautes: „DING!“.
Mein Handy sagt mir etwas: Es geht um den Ausdruck „per amico“, den man laut einer Kollegin von mir durchaus so sagen kann. Da erst werde ich zurückgeholt: Die Schlangen wie auch der Karabiner scheinen verschwunden. Da erinnere ich mich: Vera wartet im Café auf mich. Ich hetze hinaus, laufe mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu meiner lieben Frau Ersatzassistentin. Dort erkenne ich Ralf, jedoch auch eine Dame, die mir noch nie untergekommen ist. Sie stellt sich als Doris vor; offenbar ist sie nun da, da Georg ja nun in Russland ist. Höflich schüttle ich ihr die Hand, da zerreißt ein ganz lauter Schrei unsere Geste: „AAAAH! DA BIST DU JA WIEDER!“. Ralf hat mich natürlich wieder einmal gesehen, packt mich gleich beim Arm, um mich zu begrüßen. Bei dem hat man ja kaum Chancen, überhaupt gerade stehen zu bleiben!
Von nun an führen Vera und Doris ihr Frauengespräch, Ralf starrt einfach Löcher in die Luft. Irgendwie fühle ich mich in diesem Café doch etwas alleine. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Klettern ja kurz bevor steht. Da plötzlich – was ist denn das? Die Pflanzen in diesem Café, welche in Form von Blumentöpfen hier stehen, fangen an, Tentakeln auszubilden! Immer näher und näher rücken mir diese Ranken auf die Pelle. Ich versuche noch zu schreien, doch meine Kehle ist wie zugeschnürt. Auch scheint niemand der drei neben mir zu bemerken, was hier gerade geschieht
Da plötzlich höre ich eine Männerstimme: „Du musst… Du MUSST!“. Was muss ich denn, verdammt nochmal? Was muss ich tun? „Du musst kämpfen!“. Ja aber… „Du MUSST….!“ Ich schaue erschrocken zur Seite:
„Du musst doch sagen, wo ihr seid!“ Thomas steht neben uns. Er hatte sich für heute angekündigt, als Teil von iwi zu kommen. Ich schaue an mir herunter: Die Tentakeln scheinen verschwunden. Ich begrüße Thomas, der mit seiner Brille und seinem Spitzbart leicht intellektuell aussieht. Viel Zeit zum Reden bleibt uns allerdings nicht: Wir müssen nun endlich nach oben fahren, sprich in den „Monki-Park“. Dort wird nicht nur die Kletterhalle sein, sondern auch noch einiges zum Spielen. Im Aufzug beginnt Ralf natürlich schon wieder wegen irgendeiner Kleinigkeit zu schreien; umso schneller müssen wir zur Kassa und damit zum Eingang. Dort erwartet uns allerdings eine Mischung aus Garderobe und Schließfächern; ich hätte ja niemals gedacht, dass wir uns tatsächlich „kurze Kleidung“ anziehen müssten! Diese habe ich ohnehin nicht bei mir! Langsam aber sicher scheinen die Wände näher zu kommen, und mich hier in dieser ungewohnten Umgebung zu erdrücken.
Erst als ich Vera sehe, wie sie umgezogen vor mir steht, beruhigt sich die Lage etwas: Wir entscheiden uns dazu, eine Einheit auf dem Trampolin zu verbringen. Und tatsächlich: Obwohl ich extrem ins Schwitzen komme, lasse ich es mir nicht nehmen, mich so weit wie möglich auszutoben. Dennoch haben wir schließlich noch genug Energie, um noch „Pit-Pat“ zu spielen. Auch wenn Ralf sich eigentlich immer wieder weigert, jede Bahn durchzuspielen. Doch als es ca. halb zehn Uhr nachts wird – ja, so schnell vergeht die Zeit! – wissen wir alle, weiß ich, dass nun das Unmögliche getan werden muss. „Wenn wir jetzt nicht klettern gehen“, so Vera, „ist es schon zu spät!“. Und so weiß ich, dass es getan werden muss. Wir begeben uns also zu genau jenem Holzturm, bei welchem die große Klettertour beginnen soll. Und wir werden angeseilt, auf eine kleine Plattform gestellt. Nur Ralf und Doris, diese Feiglinge, bleiben unten stehen! Da ist es kein Wunder, wenn da diese merkwürdigen Männer in schwarzen Anzügen… WAS? Die stehen ja auch unten! Und wenn ich mich nicht täusche, dann schreien sie tatsächlich so etwas wie: „Du wirst sterben! Du bist tot!“.
So fühle ich mich tatsächlich, als ich das erste Mal den Parcours betrete. Wir müssen uns – teils nur mit Socken! – auf Reifen, Seilen und Baumstämmen fortbewegen. Das erste Drittel ist wirklich stark, ich bin stolz auf mich, wie gut ich mich mache. Fast noch besser als die beiden Male mit Antti in den Motorikparks. Doch dann bleibe ich hängen, der Haken verhakt sich in der Kurve. Zu all dem Überdruss rutsche ich auch noch an einem Baumstamm aus. Was dann passiert ist nicht gerade angenehm: Ich hänge direkt nach unten, meine Beine reiben am Holz. Und nun erkenne ich erst, welch eine Kraft dahinter steckt. Mir schwinden die Sinne…
„Du wirst nun mir, der Königin, einen Dienst erweisen!“ Nun erkennen meine müden Augen endlich diese dunkle Gestalt hinter den Schlangenterrarien, welche in dieser Umgebung voller Horror zu existieren scheinen. Es ist offenbar eine Hexerin mit einer merkwürdigen Krone, ihre Augen funkeln bösartig. Ich sehe, dass die Schlangen nun versuchen, auszubrechen. Doch ich fühle, dass ich in der Luft hänge – völlig unbeweglich. Ranken von Pflanzen fangen an, an meinem Seil zu sägen. Ich fühle, es wird mit mir zu Ende gehen. Und da plötzlich, erreiche ich mit den Füßen den Boden. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, dann schlängelt sich auch etwas an eben diesem Boden. Bei der ersten Berührung – schreie ich laut auf, schreie mir die Seele aus dem Leib…
„Gaaanz ruhig!“, beruhigt mich Vera. Ich fühle, dass mir das Seil abgeschnallt wird. Wie um alles in der Welt bin ich denn hierher gekommen? Ich kann mich beim besten Willen an nichts mehr erinnern. Noch immer ist mir schwindlig, als wir die Holztreppe des Turmes hinunter wandern. Lasst mich doch endlich alle in Ruhe… „So, Ralf, jetzt gehen wir uns anziehen!“. Ja, sehr nett. Ich bald nicht mehr! „Des geht ma am Oasch, heast!“, brüllt Ralf. Ja, du mir auch. Und als sich meine Kollegen anziehen, kann ich kaum mehr sitzen. Ich ziehe mir die Schuhe im Sitzen an. Und beim Anstellen an diese lange Schlange – ja, Schlange! – rufe ich mit letzter Kraft aus. Verdutzt gehen alle zur Seite, als ich mit meiner Eskorte den Park verlasse. Nun kann ich nur noch flüstern: „Lasst mich… lasst mich…“. Ich flüstere es, als diese geisterhaften Schemen im Aufzug sichtbar sind. Ich flüstere es, als wir vor den Restaurants stehen und ich mich von all den Gästen verfolgt fühle. Und ich flüstere es, als die Damen schon wieder ihre Gespräche führen. „Und wir können DIES machen… Und wir können DAS machen!“. Seid doch endlich ruhig, ihr sinnlosen Weiber… ich muss nach Hause. Endlos zieht es sich, bis wir an den Lichtern des Kaufhauses vorbei in die Dunkelheit wandern. Und dieser Geruch… Dieser höllische Geruch… Oh, Gott – Schwefel! Wie in der Hölle. Und da höre ich auch schon die Stimme des Teufels:
„KEBAP!“. Ich drehe mich um. Ach, das stinkt also so bestialisch! Doch das ist mir jetzt auch egal: „Geben Sie mir zu trinken… saufen!“, rufe ich dem Verkäufer zu, der mich komisch anstarrt. Endlich der Eistee in meinen Händen. Und bald schon AUF den Händen: Ich muss ihn mir auf den Puls gießen. Vera und Thomas begleiten mich zum Handelskai, auch sie sehen schon etwas besorgt aus. Sie beschließen daher, mich mit der Schnellbahn S 75 nach Hause zu bringen. Bitte sagt mir aber Bescheid, wenn wir aussteigen, sonst falle ich noch ins Koma. Vera und Thomas stimmen zu, obwohl ihr Ausdruck immer besorgter wirkt. Das erkennt man wohl auch daran, dass sie nun über ihre medizinische Ausbildung reden. Ja, auch Thomas hat in diesem Bereich einen Beruf. Und ich habe bald gar nichts mehr. Mir schwinden die Sinne.
„Geht´ s dir nicht gut?“, fragt Vera lächelnd. Nein, denn ich rieche auch schon wieder diesen Schwefel. Und da meint Vera lächelnd: „Da habe ich ein Geschenk für dich!“. Und mit diesen Worten – öffnet sie ihr Dekolletee. Doch ich kann mich nicht sehr lange darüber freuen, denn auch Thomas öffnet seine Hose. Ich will noch knallrot anlaufen oder mich wundern – da ragt plötzlich etwas unglaublich langes, glitschiges aus ihren Kleidern! NEIN! BITTE NICHT! DAS IST DOCH UNMÖGLICH! Doch zu spät, sogar aus ihren Nasenlöchern kommen Schlangen heraus. Ich schreie ganz lautstark um Hilfe, doch das Abteil ist ganz leer. Und als die Körper von Vera und Thomas immer mehr verschwimmen, werde ich wieder bewegungsunfähig. Schon wieder ein Karabiner, an dem ich festhänge. Bitte nicht… Bitte….
„AAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHH!“, brülle ich aus voller Kehle. Da plötzlich höre ich Murmeln von den Leuten um mich herum. Sie sitzen wieder auf ihren Plätzen, ein paar starren in die Zeitung. Ich richte meinen Blick auf Thomas und Vera, die mich entsetzt anblicken. „Bist du sicher, dass ich dich nicht nach Hause begleiten soll?“. Ich versuche sie zu besänftigen, doch voller Sorge blickt sie mich an. Letztlich gelingt es mir, beim Südtiroler Platz auszusteigen. Vera verlässt mich nur, weil ich ihr versichere, dass Thomas mich nach Hause begleiten wird. Und das tut er dann zumindest bis zum Reumannplatz. Mit letzter Kraft schleppe ich mich schließlich nach Hause…
Doch die Stimme dieser Königin scheint wieder in mir hörbar zu sein. Ich kann mich nun nur noch im Bett vor ihr verstecken. WAS IST DAS? Meine Schienbeine haben zwei große tiefe, Schnittwunden. Ich lehne mich zurück auf das Kissen, dass langsam aber sicher meine Besinnung und meine Erinnerung zurückkommen mögen.
Ich hänge wieder in der Luft, habe kaum noch Kraft. Thomas und Vera scheinen mich nicht wahrzunehmen. Ich höre wieder die Stimme der Königin: „Du entkommst uns nicht!“. Schreiend angle ich mich von Seil zu Seil, rutsche aber immer wieder ab. Gut, dann muss ich eben einfach nur weitersausen. Sausen, sausen, sausen – SSSSSSSSSS! Die Schlangen beginnen zu zischen. Ich lande mit den Füßen auf festem Boden. Unter mir kriechen überall Mini-Schlangen aus ihren Löchern. Vor mir sehe ich die Königin und eine ganz besonders deformierte Vera. Vera hält mir eine Klapperschlange entgegen, scheint mich zu bedrohen. Verzweifelt versuche ich mich abzustützen, schieße wieder in die Luft. Doch dann – bleibt mein Haken HÄNGEN! Bei den Ecken komme ich nicht weiter! Und diese Reifen! Da plötzlich schubst mich eine Hand von hinten an. Ich drehe mich um: Thomas lächelt mich an, macht mir Mut. So komme ich noch bis zur letzten Ecke.
Die Königin beginnt zu schreien, sie scheint zu wissen, dass es vorbei ist. Mit großer Energie ziehe ich mich nach vorne, steige auf ein Seil. Als ich die Schreie der Königin höre, rutsche ich ab. Wer könnte mir nun noch helfen? Natürlich: Vera! Und zwar die echte! Sie steht mit der Kletterexpertin vor mir auf einer hölzernen Plattform. „Greif das Seil!“. Sie hält mir ein riesiges Tau hin. Ich drehe mich um, Geister fliegen durch die Luft. Schwarze Dämonen mit roten Augen. Und da greife ich das Seil, schwebe nach vorne. Doch: WO IST DER BODEN? Ich falle wieder zurück, fühle den kalten Geisteratem im Nacken.
Und da schaffe ich einen letzten Ruck – und lande auf der Plattform. Vera jubelt, feuert mich an – bis wir uns schließlich in die Arme schließen. Als ich nach hinten blicke, lassen die Geister von mir ab, lösen sich in Luft auf. Da brüllt die Königin noch einmal mit der falschen Vera, bevor beide in Flammen aufgehen. Ihre letzten Worte: „Du hast gar nichts erreiiiiiiiiiiicht…“. Dann endlich habe ich meine größte Herausforderung gemeistert. Vera und ich schließen uns in die Arme – als uns plötzlich ein riesiges Flammeninferno verschlingt.
Schreiend wache ich auf, bin schweißgebadet. Doch siehe da: Alles scheint völlig normal. Lediglich ein Sonnenstrahl geht durch das Fenster. Und da lächle ich: ja, ich habe ALLES geschafft!
Matthias Ledoldis, Nutzer der Freizeitassistenz bei integration wien