Schemenhafte, als bunte Puzzle-Steine dargestellte Menschen, bilden einen Kreis. In der Mitte des Kreises ist eine Kette aus einem grünen, gelben, blauen und einem roten Mensch abgebildet.

Wer hat es nicht schon einmal gehört oder sogar selbst erlebt? Eine Beschimpfung in Form der Frage: „Bist du behindert, oder was?“ Dieser Frage geht Birgit Pree, Mitarbeiterin in der Beratungsstelle für (Vor-) Schulische Integration, nach und gibt Denkanstöße wie auf Aussagen dieser Art, reagiert werden kann.

Kein Wunder, dass viele Menschen die Wörter „Behinderung“ und „behindert“ vermeiden und stattdessen Ausdrücke, wie „Handicap“ oder „mit besonderen Bedürfnissen“ verwenden. Doch kann das die Lösung sein? Sind die Begriffe das Problem oder sind es vielmehr die weitverbreiteten negativen Narrative über Behinderungen, die dazu führen, dass „behindert sein“ von vielen immer noch als etwas Abschreckendes wahrgenommen wird
Wenn selbst Erwachsene Probleme mit dem Behinderungsbegriff haben, wie soll es dann Kindern damit gehen?

Die Inklusionsaktivistinnen Rebecca Maskos und Mareice Kaiser gehen in ihrem neuen Buch (2023): „Bist du behindert, oder was?“ der Frage nach, wie Kinder inklusiv gestärkt und ableismussensibel begleitet werden können. Die Autorinnen verdeutlichen durch viele Fallgeschichten, wie wichtig es für Kinder ist, einen positiven Zugang zu Behinderungen und auch zu anderen Verschiedenheitsmerkmalen entwickeln zu können. Ein zentraler Punkt dabei ist, mit Kindern über Unterschiede zu sprechen. Gerade jüngere Kinder sind von Natur aus sehr offen und neugierig und noch nicht mit Vorurteilen belastet. Sie stellen ganz selbstverständliche Fragen, zu den Unterschieden, die ihnen auffallen. Hier können Erwachsene ansetzen und ebenso selbstverständlich antworten. Kinder, die selbst Behinderungen haben, können diese viel leichter in ihr Selbstbild integrieren, wenn sie einen offenen Umgang mit dem Thema erleben.

Ableismus – für viele ein neuer Begriff
Ableismus ist ein Begriff, der im deutschen Sprachraum noch nicht lange verwendet wird. Er setzt sich zusammen aus dem englischen „able“ (fähig sein) und -ismus, angelehnt an Begriffe wie Sexismus und Rassismus.
Rebecca Maskos (2023, S. 49) beschreibt die Bedeutung von Ableismus folgendermaßen:
„Das Wort Ableismus ist vielen Menschen noch neu. Früher hat man meistens Behindertenfeindlichkeit gesagt. In der Alltagssprache bezeichnet Ableismus diskriminierende und ausgrenzende Handlungen, Einstellungen und Ressentiments gegenüber behinderten Menschen. Wie alle ‚ismen‘ reicht Ableismus jedoch weiter als das. Ähnlich wie etwa Sexismus und Rassismus meint Ableismus ein Machtverhältnis, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Ableismus ist nicht nur eine unfreundliche Haltung, die man durch ein wenig Aufklärung abstreifen könnte. Ableismus ist ein System nichtbehinderter Normalität, das wir alle verinnerlicht haben. Seiner Wirkung sind wir uns oft nicht bewusst.“

Reflexion und Bewusstseinsarbeit
Im Buch „Bist du behindert, oder was“ berichten sowohl Menschen mit Behinderungen als auch Eltern von Kindern mit Behinderungen über ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema Ableismus.
Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Beratungsstelle für (Vor-) Schulische Integration berate und begleite ich als Fachkraft Eltern von Kindern mit Behinderungen im Alter von 0 bis 14 Jahren, vor allem zum Schwerpunkt inklusive Bildung in Kindergarten und Pflichtschule. Ich selbst bin auch Mutter einer mittlerweile erwachsenen Tochter mit Behinderung.
Viele der Erfahrungsberichte im Band „Bist du behindert, oder was?“ haben mir als selbstbetroffene Mutter aus der Seele gesprochen. Auch ich musste die ersten ableistischen Aussagen bereits knapp nach der Geburt meiner zweiten Tochter, die mit einer Behinderung zur Welt kam, über mich ergehen lassen. Eine Krankenschwester sagte etwa „wohlmeinend“ mit Blick auf meine ältere Tochter: „Na wenigstens haben sie ein gesundes Kind, das ist ja auch etwas.“ Später wurde ich häufig für normale Dinge gelobt und bewundert, etwa dafür, dass ich mich um eine gute Förderung meiner Tochter bemühte. Vielfach habe ich Aussagen gehört wie: „Also ich bewundere dich so, ich könnte das nicht. … Bla, Bla, Bla.“
Derartige Aussagen haben in mir oft ein Gefühl von Unbehagen ausgelöst, ohne dass ich tatsächlich benennen konnte, was mich daran gestört hat. Schließlich war das meiste "gut" gemeint. Erst als ich mich Jahre später mit dem Thema Ableismus auseinandergesetzt habe, konnte ich einen anderen Blickwinkel einnehmen und die Aussagen entsprechend einordnen. Auch der Austausch mit anderen betroffenen Menschen hat mir dabei geholfen.

Gut gemeint ist nicht immer gut
In unserer Gesellschaft ist immer noch die Annahme weit verbreitet, dass Menschen mit Behinderungen in erster Linie an ihren Beeinträchtigungen leiden und mildtätige Fürsorge benötigen, um dieses Leid zu verringern. Kinder mit Behinderungen eignen sich in diesem Zusammenhang perfekt als Projektionsfläche. Viele Spendenaufrufe in diversen Medien führen dazu, dass das Bild des „armen, behinderten Kindes“ in den Köpfen fest verankert bleibt. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich der strukturelle Ableismus, der unsere Gesellschaft fest im Griff hat. Für die Finanzierung von diversen Hilfsmitteln und Therapien gibt es keinen Rechtsanspruch, was es für viele Menschen notwendig macht, um Spenden zu bitten.
Menschen mit Behinderungen werden vielfach nicht als Träger*innen von Rechten wahrgenommen. Das ist nicht verwunderlich, denn obwohl es schon längst Gesetze gibt, die Teilhabemöglichkeiten garantieren sollen, passiert in der Praxis oft das Gegenteil. Zahlreiche Barrieren führen dazu, dass viele Bereiche für Menschen mit Behinderungen verschlossen bleiben. Die fehlende Sichtbarkeit führt wiederum dazu, dass Behinderungen weiterhin als Zustand „außerhalb der Norm“ wahrgenommen werden.

Mitmenschen sensibilisieren
Was können Sie selbst machen oder wie reagieren, wenn das eigene Kind Ableismus erfährt?
Welche Reaktion im jeweiligen Fall angemessen ist, hängt natürlich auch von der Intention des Gegenübers ab. Manchmal geht es tatsächlich um offene Feindseligkeiten bzw. Beleidigungen. In solchen Fällen ist zu prüfen, ob das Einleiten von rechtlichen Schritten sinnvoll ist. Organisationen, die sich für die Rechte von behinderten Menschen einsetzen, können dabei unterstützen.
In vielen Fällen kommen aber eben auch die bereits beschriebenen subtileren Formen von Ableismus zum Vorschein: Mitleid, vermeintlich aufmunternde Worte, Bewunderung für Selbstverständliches und vieles mehr. Hier hilft es Sachverhalte zu erklären. Zum Beispiel: „Menschen leiden nicht per se an einer Beeinträchtigung. In vielen Fällen sind es die Umstände die sie behindern. Die Umstände können verbessert werden…“
Für viele Menschen, die ableistische Aussagen tätigen, ist das Thema Behinderung vermeintlich weit weg von ihrer eigenen Lebensrealität. Oft lohnt es sich, zu versuchen, einen Denkanstoß zu geben. Nach dem Motto: Ableismus erkennen, benennen und darüber aufklären!

Verfasserin: Birgit Pree

Literatur:
Maskos, R. & Kaiser, M. (2023). „Bist du behindert, oder was?“ – Kinder inklusiv stärken und ableismussensibel begleiten. Berlin: Familiar Faces Verlag.

 

Wenn Sie über Ihre Erfahrungen mit Ableismus sprechen möchten, dann nehmen Sie mit dem Team VorSchulische Beratung Kontakt auf. Wir sind gerne für Sie da.
Sie erreichen uns:
Telefon: 01 / 789 26 42 – DW 12, DW 22, DW 31
E-Mail: This email address is being protected from spambots. You need JavaScript enabled to view it.
www.integrationwien.at/schule

 

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Ok